Nachruf auf Gerhard Mantz

Gerhard Mantz hat in seinem Werk immer wieder neue Perspektiven entwickelt.

Bekannt wurde Mantz in den 1980er Jahren, nachdem er mit einem Stipendium des Künstlerhauses Bethanien nach Berlin gekommen war, mit delikaten Objekten: mit vor der Wand in einer Farbaura schwebenden Lanzetten und Körpern, deren rational erklärbare Form durch ihre Fassung in satten Farben in eine starke, vibrierende Präsenz im Raum versetzt wird. Sie fordern das betrachtende Auge in seiner Aktivität.

Das Arbeiten an den realen Objekten stieß an durch das Material bedingte Grenzen. So entwickelte Mantz Mitte der 1990er Jahre virtuelle Objekte, generierte, was sich nicht bauen lässt, als digitales Bild am Computer. Die im Nirgendwo driftenden Körper und die Detailaufnahmen mit Einblicken in ein Innenleben der Objekte spielen mit opaken und transparenten Schichten, mit Lumineszenz und Absorption. Die Inszenierung des Lichts diente ihm dabei dazu, seinen Bildgegenstand zugleich glaubhaft zu verorten und ins Theatralische zu steigern. Diese Ambivalenz ist ein Grundthema seiner Bildfindungen.

Gerhard Mantz war ein Tüftler und Entwickler. Er nutzte nicht einfach nur bestehende Programme, sondern programmierte selbst, um komplexe Bilder schaffen zu können und entwickelte die digitale Kunst mit einer sehr eigenen Handschrift weiter. Dabei gewann er auch tradierten Genres der Kunstgeschichte neue Seiten ab. Er generierte abstrakte Bilder, versetzte sie in Bewegung, entwickelte meditative Mandalafilme und suggestive Raumanimationen.

Dem Genre der Landschaften näherte sich Mantz mit einem forschenden Blick. Landschaften und deren Elemente erscheinen bei ihm in einer Vielfalt von Sehnsuchtsbildern, als tropischer Dschungel und moosiger europäischer Wald, als sonnenbeschienenes Bergmassiv, dunstige Ebene oder bleierne Meereswogen. Kantige Blüten, verzerrte Spiegelungen, die restlose Glätte der Felsen oder stotternde Baumverläufe zeigen die durch Computeralgorithmen gebrochene Künstlichkeit dieser am Rechner gewachsenen Territorien an. Diese Landschaften wirken „gemacht“. Und obwohl keine Menschen darin auftauchen, sind sie zwar verlassen, aber nicht „unberührt“, da „berechnet“. Sie rufen Erinnerungen auf, weniger an eigene Erfahrungen als an all unsere durch die medialen Bilder geprägten Vorannahmen. Sie bergen in ihrer romantischen Schönheit etwas Bedrohliches.

Sein letzter Werkzyklus umfasste „Avatare“, Figuren in Adoleszenz in prototypisch und zugleich künstlich erscheinenden Interieurs oder surrealen Szenerien, die wie Filmstills wirken. Sie verharren eingekapselt in emotionalen Situationen und angedeuteten Geschichten. Die Bildkompositionen nehmen zum Teil kunsthistorische Anleihen, verweisen auf Balthus, Caravaggio, Jan Vermeer van Delft oder Antonio Mancini. Auch hier verknüpfen sich die fiktiven Konstellationen mit unserem Bildgedächtnis.

Nike Bätzner

 

Nachruf

Gerhard Mantz hat in ganz Europa und den USA ausgestellt. Seine Homebase hatte er in Berlin. Er hat mit Lust und Energie Bildwerke geschaffen, die bereichern, irritieren, stören, trösten, anheimeln..., man hätte sich noch viele solcher Bilder gewünscht. Am 30. März ist Gerhard Mantz im Alter von 71 Jahren ganz plötzlich verstorben.  

Der Künstler Gerhard Mantz ist tot. Ungebrochen aktiv erlag er am 30. März während eines Telefongesprächs urplötzlich einem Infarkt. Seine Vita ist eng mit Karlsruhe verbunden, bevor er sich zu Beginn der 1980er-Jahre in Berlin niederließ. Hier hat Mantz an der Kunstakademie studiert, hier fand er im Badischen Kunstverein (1979) und in der Kunsthalle (1982) früh Beachtung. Dank ihres Förderkreises konnte das Publikum zum Jahreswechsel 2001/2002 in der Städtischen Galerie Karlsruhe einige der "Virtual Works" des Künstlers kennenlernen, der sich wiederholt für längere Zeit in New York aufhielt.
Mantz, 1950 in Neu-Ulm geboren, hat schon früh die künstlerischen Möglichkeiten der Computertechnologie erkannt und für seine Arbeit nutzbar gemacht. Überregional erlangte er erstmals Aufmerksamkeit mit geometrisch exakten, handwerklich gefertigten Objekten, bei denen er die Möglichkeiten der Monochromie im doppelten Sinn des Wortes auf die Spitze getrieben hatte, wie 1985 bei einer Einzelausstellung im Künstlerhaus Bethanien, Berlin, zu erleben war. Schon hier rührte Mantz an der Frage nach Grenzen und Verlässlichkeit von Wahrnehmung, die weiter sein Thema bleiben sollte und die er später mittels digitaler Techniken zu immer wieder überraschenden Extremen führen sollte.
Den Anfang seiner Computerarbeiten markierten Gegenstände, die er auf Basis spontan am Bildschirm gezeichneter Lineaturen generierte. Die locker geschwungenen, mitunter verschlungenen Linien wurden rotiert; auf diese Weise entstanden dreidimensionale Gebilde. Stellte Mantz 1999 in einer Wanderausstellung, die ihren Auftakt in der Galerie am Fischmarkt, Erfurt, hatte, "Virtuelle und Reale Objekte" (so der Titel) nebeneinander, so verlagerte er den Schwerpunkt seiner Arbeit fortan komplett in den virtuellen Raum. Der Computer sei für ihn "zunächst ein neues und aufregendes Spielzeug gewesen", bekannte Mantz anlässlich seiner Präsentation "Formen der Bewusstlosigkeit" (2006) im [DAM] Berlin. Dann aber habe er den "Zugewinn an Komplexität" erkannt: "Eine ungleich größere Zahl an Gedanken, Ideen und Entwürfen ließ sich mit Datenbanken verwalten und vergleichen."
Die Kapazitäten der Rechner nutzte Gerhard Mantz für die Gestaltung fiktiver, nicht selten unterschwellig bedrohlicher Landschaften, wie er sie in der Gruppenausstellung "natürlichkünstlich" (2001) zeigte. Das Dystopische, das sich in Werken wie "Heimtückische Hoffnung" (1997) oder "Ende einer Welt" (1998) andeutete, verdichtete sich in einer Folge quasi-winterlicher, frostkalter Szenerien, von denen Mantz 2010 einige unter dem Motto "Nach lautloser Explosion" im [DAM] Berlin vorstellte. Dabei erinnerte eine Arbeit wie "Ahnungsvolle Beharrlichkeit" (2010) mit ihrem weiter und weiter verzweigenden Geäst an die Analogie zwischen digitalen Rechenprozessen und natürlichem Wachstum. Was wie gewöhnliche Lebenswirklichkeit aussieht, ist das Ergebnis binärer Operationen: Unter dieser Prämisse entstanden in den letzten Jahren seine "Avatare" - Ansichten oftmals androgyn anmutender Wesen, deren Sexualität gerade zu erwachen scheint und die sich in surrealen Umgebungen bewegen. Dabei rekurrierte Mantz nicht zuletzt auf bekannte kunsthistorische Vorbilder, an denen er verdeutlichte, wie sehr das, was wir Wirklichkeit nennen, von Phantasien und Projektionen geprägt wird. Zugleich führt er die denkbare Aussicht auf eine Zukunft vor Augen, in denen der Mensch nur als virtueller Schatten dessen existiert, was einmal Fleisch und Blut, Glück und Schmerz, Lust und Leidenschaft war. Michael Hübl
(zuerst erschienen unter dem Pseudonym Alfred Fritsch)